feedback

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

aufgrund meiner bisherigen Überlegungen sind – hopefully – zwei Punkte klar geworden:

  1. 1. Mit dem bei Hattie und anderen Bildungsforschern geforderten Feedback für Lehrpersonen ist kein künstliches, anonymisiertes Verfahren der Rückmeldung von Schülerinnen und Schülern an ihre Lehrerinnen und Lehrer gemeint. Vielmehr geht es um mündliche und schriftliche Äußerungen zu Wirkungen des Unterrichts, bei denen sich die Lernenden nicht hinter einem formalisierten Verfahren verstecken. Aufgrund des bestehenden Vertrauensverhältnisses zur Lehrperson äußern sie ohne Scheu, was sie in ihrem Lernen weitergebracht und wo es Schwierigkeiten gegeben hat. Das setzt über das geforderte positive Lehrer-Schüler-Verhältnis ein lernförderliches Klassenklima voraus, d. h. die Peers haben gelernt, mit eigenen Äußerungen und denen der Mitlernenden konstruktiv umzugehen.
  1. 2. Es geht um die individuelle Förderung einzelner Schülerinnen und Schüler. Das Feedback an die Lehrperson darf daher nicht nur in großen zeitlichen Abständen erfolgen, sondern es sollte Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrern einen Einblick in die Lernprozesse individueller Lernender in allen Phasen des Unterrichts ermöglichen. Dabei geht es nicht nur um die lernschwächeren Schülerinnen und Schüler. Auch das obere Drittel hat Anspruch darauf, durch geeignete Impulse größere Lernerfolge zu erzielen. Auf die Schwierigkeiten, ein entsprechendes Vertrauensverhältnis und das förderliche Klassenklima herzustellen, habe ich immer wieder hingewiesen. Es versteht sich daher von selbst, dass diese Form des Feedbacks früh eingeführt werden muss, damit die Bereitschaft, sich zu den individuellen Lernprozessen zu äußern, in höheren Klassen bereits entwickelt ist.

Zur Einführung eigenen sich die folgenden semi-formalisierten Verfahren, die Ihnen sicher bekannt sind. Sie sollten deutlich öfter zum Einsatz kommen, als es bisher im Fremdsprachenunterricht üblich ist:

  1. A. Daumenprobe:

Nach einer Unterrichtsphase erfolgt die Rückmeldung durch das aus Facebook bekannte „Liken“ in abgewandelter Form: Alle Lernenden bekunden ihre Einschätzung durch Daumen nach oben, Daumen nach unten oder Daumen geradeaus. Mindestens zwei Schülerinnen und Schüler äußern sich zu der jeweiligen Daumenstellung (am besten auf Deutsch). Abfällige Bemerkungen, insbesondere über die Mitlernenden, sind nicht gestattet.

  1. B. Blitzlicht:

Jeder Lernende macht eine Bemerkung zum Lernergebnis (am besten auf Deutsch). Die Lehrperson fasst kurz die wichtigsten positiven und negativen Punkte zusammen. Wie die Daumenprobe erfordert auch dieses Verfahren wenig Zeit und kann in jeder Unterrichtsstunde mehrmals eingesetzt werden.

  1. C. Erklärungsimpuls:

Nach einer Darbietungsphase durch die Lehrperson sagen mehrere Lernende – sie sollten gezielt zur Äußerung aufgefordert werden, auch ohne dass sie sich gemeldet haben –, was sie verstanden haben. Dieses Verfahren eignet sich gut für Statements in der Zielsprache.

Bevor wir uns in der 4. Folge weiteren Möglichkeiten zuwenden, als Lehrperson gezielte Auskünfte über die Wirkung des eigenen Unterrichts von einzelnen Schülerinnen und Schülern zu erhalten, reproduziere ich im Folgenden den letzten Abschnitt des Kapitels zum Feedback aus meinem Narr Studienbuch: Fremdsprachenunterricht lernwirksam gestalten. Mit Beispielen für Englisch, Französisch und Spanisch (Tübingen: Narr 2014, S.166-167):

9.4      Liebe muss nicht blind machen

Antonio ist ein munterer Junge von 12 Jahren. Er lernt gern Fremdsprachen. Englisch gefällt ihm, weil fast alles so schön kurz ist. Außerdem versteht er schon ziemlich viel durch die englischsprachigen Songs, die er mit Begeisterung hört. Antonio ist zudem stolzer Besitzer eines Notebooks und eines Smartphones. Auch das trägt zu seiner Vorliebe für Englisch bei.

Antonio besucht die sechste Klasse einer Gesamtschule und hat als zweite Fremd­sprache Spanisch gewählt. Das kann er bereits ziemlich gut, auch wenn zu Hause Deutsch gesprochen wird: Antonios Vater stammt nämlich aus Spanien. Seinen Eltern sagt Antonio nicht, dass er mit der von ihnen vorgeschlagenen Wahl auch aus einem anderen Grund einverstanden ist. Seine Lieblingslehrerin wird in Antonios Klasse nämlich nicht nur Englisch, sondern auch Spanisch unterrichten.

Etwa zwei Monate nach Beginn des Schuljahrs fordert Frau Berthold die Schüle­rinnen und Schüler auf, ihr in Abständen von ca. sechs Wochen zu vermelden, was im Unterricht gut und was nicht gut läuft. Dafür reserviert sie einen Teil des Englischun­terrichts. Als diese Feedback-Initiative nicht auf das gewünschte Echo stößt, richtet Frau Berthold eine Schülersprechstunde ein. Aber auch das führt nicht dazu, dass einzelne Schülerinnen oder Schüler ihr in irgendeiner Form die gewünschte Rück­meldung zu ihrem Unterricht geben. Da fordert Frau Berthold Antonio kurzerhand auf, doch einmal zu ihr in die Schülersprechstunde zu kommen.

Hinterher wollen die anderen natürlich wissen, was die Lehrerin mit ihm bespro­chen hat. Antonio erzählt es bereitwillig: Zunächst hat sie ihn aufgefordert, ihr zu sagen, wie er ihren Unterricht findet. Da sagte Antonio: „Also, soweit läuft alles ganz gut.“ Als Frau Berthold meinte, das sei doch recht nichtssagend, merkte Antonio an, dass sie das auch immer sage. Da musste die Lehrerin lachen, denn in der Tat wollte sie die Kinder mit dieser Floskel ermutigen. Antonio dürfe sie ruhig kritisieren, müsse aber fair bleiben. Zum Erstaunen seiner Klassenkameraden und auch der Mädchen hatte Antonio daraufhin nacheinander seine Kritikpunkte aufgezählt:

  • „Manchmal versäumen wir zu viel Zeit mit Nebensachen wie Klassenbuch­führung, Bücherlisten usw.“
  • „Viele brauchen einfach mehr Zeit. Sie nehmen immer zu schnell die dran, die es ohnehin wissen.“
  • „Sie loben uns dauernd; in der letzten Stunde haben sie mich dreimal gelobt, ob­wohl ich gar nichts Besonderes gemacht habe.“
  • „Könnten Sie mir nicht mal sagen, was ich besser machen kann?“

Einige glauben Antonios Erzählung nicht; andere sind davon überzeugt, dass er es bei Frau Berthold „verschissen“ hat. In der darauffolgenden Stunde jedoch nennt die Lehrerin Antonios Kritikpunkte vor der Klasse und sagt, dass sie dadurch Wichtiges gelernt habe. Sie werde sich bemühen, es in Zukunft besser zu machen. So etwas hatten die Kinder noch nie von einer Lehrperson gehört. In der Folgezeit brachten zunehmend mehr Schülerinnen und Schüler den Mut auf, Frau Berthold in der Feed­back-Stunde, aber auch bei anderen Gelegenheiten ein Feedback zu geben. Antonio schwärmt jetzt noch mehr für seine Lehrerin. Liebe muss eben nicht blind machen.